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28. Mai 2011

Samstag, 28. Mai

Ich war früh auf, wollte das Morgenlicht nutzen für ein paar Fotos auf dem Universitätsgelände. Es ist ganz still. Nur vereinzelt zwei Jogger, ein paar Wachleute, nur gelegentlich ein Auto. Eine ganz andere Atmosphäre als in den vergangenen Tagen. Ich genieße sie sehr, komme selbst zur Ruhe, schlendere zu einigen der Orte, an denen wir gearbeitet haben und nehme dabei vieles wahr, was ich bisher übersehen hatte. Ich bekomme auch eine Ahnung von der Geschichte dieses Campus, auf dem bis ins 19. Jahrhundert Zuckerrohrplantagen und –Verarbeitungsbetriebe waren. Es sind nur noch wenige Reste der alten Anlagen zu sehen, am imposantesten die Aquädukte, die das Wasser für den Betrieb der Zuckerrohrmühlen heranführten. Ich besuche auch die Kapelle, die von verschiedenen Denominationen im Wechsel genutzt wird und die ursprünglich ein Gebäude zur Zuckerverarbeitung war. Leider ist sie abgeschlossen. In dem dazugehörigen Garten hatten wir unsere "Bible studies". Dort sind auch die drei jungen Bäume gepflanzt, die die Teilnehmenden der Konvokation in einer Zeremonie mit Psalmlesungen hinterlassen haben. Ich will morgen versuchen, einen der Gottesdienste hier zu besuchen. An einem der lauschigen Plätze, die überall auf dem Gelände für "quiet studies only" eingerichtet sind, lasse ich mich nieder und studiere in Ruhe zwei der Papiere, die ich in Workshops bekommen habe: "Christian Understanding of War in an Age of Terror(ism)" vom National Council or Churches of Christ in the USA und "Violent Actors, Peaceful Alternatives. A Faith-sensitive Training Toolkit" von Pax Christi International. Beides lohnend auch für die Weitergabe in Deutschland. Und ich mache noch ein paar Fotos von Kunstwerken, die hier auf dem Gelände zu sehen sind. Vermutlich wird dies mein letzter Bericht aus Kingston sein. Morgen geht mein Flug nach New York.

Freitag, 27. Mai

Heute Morgen fuhren weitere TeilnehmerInnen nach Hause oder weiter zu anderen Orten auf Jamaika. Mir selbst reichen die vielen Eindrücke hier in Kingston, ich nutze deshalb sehr gerne die Möglichkeit, hier auf dem Campus weiter zu wohnen und von hier aus die nähere Umgebung noch ein wenig zu erkunden. Einer der Polizisten hier auf dem Wohnheimgelände ist sehr interessiert, etwas von Deutschland zu hören. Er möchte genau wissen, was ich arbeite, wie die wirtschaftliche Situation ist und vor allem, wie Schwarze in Deutschland behandelt werden. Ich habe ihn schon mehrfach beim Lesen vonBüchern beobachtet, spreche ihn daher auf sein Interesse an Büchern an und biete ihm den Text der Schlussbotschaft und des "Call for Just Peace" an. Außerdem die englische Textfassung unseres OeD-Flyers. Er ist sehr interessiert, liest es sofort und unterstreicht sich beim Lesen das, was ihm wichtig erscheint.
Nach einem Kaffee habe ich mich dann allein mit dem öffentlichen Busaufgemacht Richtung "downtown". Man kommt dabei an sehr unterschiedlichen Wohngegenden vorbei, "Beverly Hills" (heißen tatsächlich so) zum Einen, armselige Wellblechbuden zum Anderen. Und jede Menge kleinerer oder größerer Kirchen, teilweise mit marktschreierischen Botschaften zur Straße hin: "Salvation today!" Einige dieser Kirchen haben Schulen angeschlossen, fast alle sind mit Zäunen und teilweise Wachpersonal gesichert. Das große Gebäude der Heilsarmee sieht wirklich wie ein Militärlager aus – dem Begriff "army" alle Ehre antuend. Der Busfahrer hat ein religiöses Radioprogramm eingeschaltet, das die Fahrgäste mit entsprechenden Botschaften und Liedern versorgt und dazwischen die aktuelle Uhrzeit verkündet. An der Endstation in der Innenstadt steige ichaus. Es ist unheimlich laut hier, ein Chaos von Verkehr, der sich aber irgendwie doch entwirrt, auf den Gehwegen und an jeder Ecke viele Händlerinnen und Händler, manche mit winzig kleinem Warenangebot, z.B. fünf oder sechs Zahnbürsten oder Kokosnüssen. Auf der King Street, die von der Bushaltestelle zur "waterside" führt, fühle ich mich nicht ganz wohl. Bettlerinnen und Bettler, neben dem Gehweg auf einem Stück Pappe liegende und vor sich hin dösende Männer in zerlumpter Kleidung. Viel Polizei, einige mit Schutzwesten. Im Dunkeln möchte ich hier nicht alleine lang gehen. Mein Ziel ist die National Gallery of Jamaica. Eine der deutschen Jugenddelegierten war gestern schon dort, gemeinsam mit einem Jamaikaner. Ihre eindrucksvolle Beschreibung dessen, was dort ausgestellt ist, kann ich voll bestätigen. Ein Highlight. Sehr gute moderne Kunst, eine nach Epochen geordnete Übersicht über ältere Kunst, eine interessante historische Abteilung, in der die Geschichte Jamaikas von den frühesten Quellen an mit Objekten und Bildern anschaulich aufgezeigt wird, einschließlich der bedrückenden Geschichte der Sklaverei. Alles überragend und mich sehr berührend ist eine Ausstellung mit Werken, vor allem eindrucksvollen Skulpturen von Edna Manley: große Kunst von einer auch politisch sehr engagierten Frau. Etwa drei Stunden habe ich dort verbracht. Die berühmteste Skulptur "Negroe Aroused" steht als vergrößerte Nachbildung auch draußen. Ein  Foto ist hier zu sehen.

26. Mai 2011

Donnerstag, 26. Mai

Leeres Zelt
Es wird immer ruhiger hier im Haus. Ich kann voraussichtlich bis zu meiner Abreise am Sonntag hier bleiben, das ist für mich natürlich sehr bequem. Heute morgen haben wir Sibylle und Ricarda verabschiedet, mit denen ich gestern noch in den Blue Mountains war. Und einen der wenigen Muslime, die an der Friedenskonvokation teilgenommen haben. Er kommt aus Mumbai (Indien), ist Direktor des dortigen „Institute for Peace Studies and Conflict Resolution“ und eines „Centre for Study of Society and Secularism“ und hatte an „meinem“ Workshop teilgenommen. Vielleicht wird Schwester Myriam ihn mal in Indien treffen und ihre tiefer gehenden PAG-Erfahrungen an ihn weitergeben können. Es gab noch intensive Gespräche am Frühstückstisch, die sich aber weniger um die Erfahrungen bei der Konsultation drehten als um eigene Erfahrungen zu Hause. Spannend dabei auch der Austausch mit einem Altkatholiken aus der Schweiz. Die SchweizerInnen hatten noch Interesse an einem PAG-Workshop, nachdem ich ihnen von „meinem“ Workshop erzählt hatte, aber letztendlich waren es nur noch drei, die mein Angebot eines Extratermins heute wahrnehmen wollten. So haben wir es auf irgendwann und irgendwo später verschoben. Auf dem Universitätsgelände sind wieder mehr Studenten zu sehen, der Betrieb hat teilweise wieder begonnen. Das Zelt, in dem wir die Plenumsversammlungen und Gottesdienste hatten, ist fast leer geräumt.

Am Abend war mich mit Angela zum Essen in einem sehr schön in einem Hinterhof gelegenen Restaurant fast mitten in der Stadt. Nicht billig, aber ganz hervorragend gegrillter Lachs und eine gute Fortsetzung des Gesprächs vom Dienstag mit viel persönlichem Austausch. Eine gute Grundlage für eine mögliche Kooperation. Vermutlich in absehbarer Zeit aber nicht direkt mit dem OeD, einmal wegen der Sprachgrenze, aber auch wegen der Entfernung. Mal sehen, was sich entwickeln lässt. Angela hat noch einmal betont, wie gerne sie Freiwillige hätte. Angela hat auch versucht, Freiwillige hier vor Ort zu finden, beispielsweise Studierende an den Fakultäten für Sozialwissenschaften und Pädagogik. Das ist aber sehr sehr schwierig, und sie haben praktisch keine Zeit für eine kontinuierliche Mitarbeit. Die Freiwilligen sollten möglichst auch schon etwas Erfahrung haben, ein Mindestalter von 25 Jahren scheint sinnvoll.

Die ökumenische Bewegung

Mein Bild von der ökumenischen Bewegung
Ich bin wirklich sehr froh und dankbar dafür, dass ich gemeinsam mit Michael Held von der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck als Delegierter hier teilnehmen konnte. Aber die Zukunft der Ökumene sind wir grauhaarigen Männer nicht. Und wie es einige der Jugenddelegierten formulierten: auch sie wollen nicht nur als die Zukunft angesehen werden, sondern sie repräsentieren schon die Gegenwart der Ökumene. Meine Empfehlung für die nächste Delegierung ist daher dringend, Jüngere zu finden und möglichst auch nicht nur Männer. Die Jüngeren sollten auch mehr Platz in den offiziellen Veranstaltungen bekommen, nicht "nur" im Jugend-Vorprogramm und in einem zeitlich sehr knappen Abschnitt im Schlussplenum. Selbstverständlich sind auch die Erfahrungen der Älteren wichtig, und es gab von ihnen einige ganz hervorragende Beiträge. Aber ein wenig besteht auch die Gefahr, dass von ihnen Beiträge kommen, die schon vor zwanzig Jahren so formuliert wurden. Auf der anderen Seite scheinen mir Erfahrungen, die in diesen sagen wir zwanzig Jahren gemacht wurden, bei den Organisatoren im Weltkirchenrat noch immer nicht angekommen zu sein, beispielsweise was die Partizipation der Teilnehmenden betrifft. Da schien mir Einiges doch sehr "von oben" festgelegt worden zu sein. Sicherlich im ernsthaften Bemühen, alle möglichen Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten und Harmoniebedürfnisse zu berücksichtigen, aber irgendwie auch dabei wenig an wirklich Neuem interessiert. Ich muss allerdings auch sagen, dass die nicht nur von deutschen Delegierten sehr klar formulierte Kritik auch aufgenommen wurde. Allerdings sagen einige, dass sie diese Punkte auch schon im Vorfeld benannt hatten, aber offensichtlich nicht gehört wurden.
Die finanzielle Situation des Ökumenischen Rates der Kirchen war überhaupt kein Thema – das hat mich ehrlich gesagt etwas verwundert.
Eine große Herausforderung ist die Sprache. Die Plenumsveranstaltungen wurden zwar in Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch simultan übersetzt (ein großes Lob an die Dolmetscherinnen, von denen wir eine bei unserem Ausflug in die Blue Mountains wieder trafen), aber die wie mehrfach beschriebenen informellen Gespräche sind doch sehr anstrengend, wenn man nicht sehr gut Englisch versteht, auch in den oft stark gefärbten asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Varianten. Und eine stärkere Sensibilität der Englisch-Muttersprachler gegenüber den vielen, die Englisch nur als Zweitsprache sprechen, ist zu wünschen. Sprache ist auch ein Machtmittel, und das will sensibel gebraucht werden.

Angela Stultz

Dienstag, 24. Mai
Zum ersten Abschlussplenum komme ich erst gegen Ende, weil ich mich zuvor mit Angela Stultz getroffen habe. Eine beeindruckende Frau. Sie strahlt eine sehr lebensfreundliche Energie aus, scheint mir aber fast rund um die Uhr auf Achse zu sein. Auch während unseres gut eineinhaltstündigen Gesprächs klingelt immer wieder ihr Handy. Wir verstehen uns auf Anhieb gut. Sie freut sich sehr über die Grüße von Michael und Sonja aus Kassel, die sie bei einem Seminar in Birmingham kennen gelernt hat. Ich habe ihr einen Brief mitgebracht und den deutschsprachigen Bericht eines Freiwilligen, der in ihrem Projekt gearbeitet hat. Sie lässt ihn sich wörtlich übersetzen, möchte genau wissen, wie er ihre Arbeit beschrieben hat. An einigen kleinen Stellen korrigiert sie. Die wichtigsten Korrekturen sind: die in dem Bericht genannten Finanzgeber sind bis auf einen nicht mehr engagiert. Die Arbeit hat sich dagegen ausgeweitet, es gibt jetzt zum Beispiel auch eine Schule für ältere Jugendliche und junge Erwachsene. Für die Schulen würde sie gerne wieder Freiwillige haben. Ich verspreche ihr, Michael zu fragen, ob er das vermitteln kann. Zwei Freiwillige hätten Platz. Sie sollten Englisch, Mathematik und Computerbedienung unterrichten können und vorbereitet sein auf die Arbeit in einem sehr armen Viertel. Wir kommen ins Gespräch über den spirituellen Hintergrund ihrer Arbeit und der ihrer Organisation. Angela und ein weiteres Teammitglied sind Rastafari, die anderen acht sind Christen. Angela selbst ist in einer katholischen Familie aufgewachsen, aber von ihrem Großvater schon früh zu einer kritischen Haltung erzogen worden. Als später eine Rastafari-Familie in ihre Nachbarschaft zog, wurde sie von deren zugewandter Art angesprochen und selbst Rastafari. Dabei hat sie die kritische Haltung ihres Großvaters auch hier übernommen. Sie stellt viele Strukturen auch bei den Rastafari, z.B. was die untergeordnete Stellung der Frauen betrifft, offensiv in Frage und macht sich damit nicht nur beliebt. Ganja raucht sie nicht, ihr Partner auch nicht. In der Arbeit im Stadtteil ist ihr der Respekt vor den Menschen und die Achtung ihrer Würde das allerwichtigste. Dazu dienen auch "Reasonings", das sind Versammlungen, zu denen jeder kommen kann, ohne dass man sich erst großartig in Schale werfen muss, wie das z.B. bei den Gottesdiensten der meisten Christen praktiziert wird. Hier geht es um Lebensfragen, die auch über das Materielle hinaus gehen. Manchmal lädt sie Dozenten von der Universität ein, dazu zu kommen, was die Stadtteilbewohner als große Ehre und Wertschätzung empfinden. Auch Künstler aller Art kommen gelegentlich dazu. Den Kirchen gegenüber ist Angela kritisch. Ihr Projekt war vor einigen Jahren auch von Vertretern des Weltkirchenrats besucht worden (im Rahmen der Kampagne "Peace to the Cities"). Den Besuch hat sie nicht in guter Erinnerung, und das ist auch ein Grund dafür, dass sie nicht zu der Friedenskonvokation gekommen ist, obwohl sie noch extra eingeladen wurde. Die Besuchergruppe damals sei als ganze Busladung voller "armutshungriger" Menschen angekommen. Einige hätten Versprechungen gemacht, sich um finanzielle Unterstützung zu bekümmern, aber auf die Zusendung von daraufhin ausgearbeiteten proposals gar nicht geantwortet. Vom Weltkirchenrat habe sie eine Ablehnung bekommen, weil die Arbeit nicht ausdrücklich unter "kirchlich" läuft. "Aber wir arbeiten zutiefst spirituell, und zwar in einer offenen Art, ohne jemanden missionieren zu wollen", ist ihre Überzeugung. Die Suche nach Finanzgebern ist eine ständige und ermüdende Herausforderung. Was das Engagement gegen Gewalt betrifft, ist hier das Wichtigste neben der Wertevermittlung die Hilfe bei der Organisation von Arbeit, und das heißt vor allem Qualifizierung für den Arbeitsmarkt. Für die Frauen gibt es z.B. eine Art Trainingswerkstatt für Friseurinnen. "Auch wenn die Leute sehr arm sind, legen sie Wert auf schönes Aussehen". Das ist auch überall zu sehen, auf der Uni wie außerhalb. Und nicht zuletzt bei Angela selbst, die reich mit Schmuck angetan ist. Am Donnerstag Abend wollen wir uns noch einmal treffen.

25. Mai 2011

Die Botschaft

Hier findet ihr die Endfassung der "Botschaft" in deutscher Übersetzung: http://www.gewaltueberwinden.org/de/materialien/oerk-materialien/dokumente/praesentationen-ansprachen/ioefk-botschaft.html  Es war ein hartes Stück Arbeit daran, aber letztlich sind die meisten damit zufrieden. Nun liegt allerdings vieles daran, wer sich wie an die Umsetzung der Anregungen macht. Ein schöner Abschlussgottesdienst beschloss die Konvokation.

Die Aschewolke hat einige Befürchtungen ausgelöst bei denen, die gestern bzw. heute abgereist sind. Ich bin noch gelassen, werde ja erst am Sonntag via New York zurück fliegen. Schon am Montag konnten zwei unserer deutschen Bischöfe nicht wie geplant zurück fliegen, allerdings wegen eines Streiks der Fluglotsen hier. Gestern sind sie aber los gekommen. 
Auf dem Weg zu den Blauen Bergen

Ich hatte am Vormittag einen Ausflug zu einer Kaffeeplantage in den Blue Mountains - dort wächst der Champagner unter den Kaffees unter besonders guten klimatischen Bedingungen. Sehr edel und teuer. Schmeckt allerdings auch wirklich gut. Heute Nachmittag ist frei, ist auch nötig zum Sortieren der vielen Eindrücke. Herzliche Grüße, Rainer

Friedenskonvokation zu Ende

Michael Held im Plenum
Nur kurz, die Internet-Verbindung ist wacklig: die Konvokation ist gut zu Ende gegangen. Michael Held konnte sein Anliegen http://krieg-aechten.net im Schlussplenum noch unterbringen.
Ich hatte ein sehr schönes Gespräch mit Angela, werde sie am Donnerstag noch einmal treffen. Sie ist wirklich sehr beschäftigt, rast von Termin zu Termin. Ich schreibe später mehr und versuche es zu senden, wenn die Verbindung wieder besser ist. Herzlich, Rainer

24. Mai 2011

Montag, 23. Mai

Margareta Ingelstam und "Karl" und
andere, deren Namen ich nicht kenne
Beim Frühstück sitze ich Lisa Schirch von der Eastern Mennonite University gegenüber. Sie ist dort "Professor of Peacebuilding" und fragt mich, wie so viele hier, aus welcher Kirche ich komme. Ich versuche ihr bei meiner Antwort das System der evangelischen Landeskirchen in Deutschland zu erklären, was bei meinen bescheidenen aktiven englischen Sprachkenntnissen kaum gelingt. Zum Glück windet sich hinter uns die Schlange der Wartenden, darin etliche Deutsche. Mein Hilferuf verhallt nicht unerhört: Barbara Rudolph macht spontan ein Kurzreferat in sehr gutem Englisch über Geschichte und Gegenwart der Struktur der evangelischen Kirchen in Deutschland. Lisa Schirch und ich sind beeindruckt. Tagesthema ist heute "Friede zwischen den Völkern", wo Lisa auf dem Podium sitzt. Die Bibelgruppe, die sich wieder unter dem Baum trifft, hat einen schwierigen Text: Epheser 2, 11-22. Aber einige Gedanken aus der Gruppe beschäftigen mich weiter: "Einheit" (egal ob zwischen den Konfessionen oder anderen Teilgruppen) ist auch abschließend, zieht eine Grenze. Und das Zitat von Bonhoeffer, das Konrad Raiser uns mitgibt: "es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit." Beim Mittagessen dann endlich ein Gespräch mit Margareta Ingelstam aus Schweden über die dortigen Pläne, die Idee Schalomdiakonat umzusetzen. Sie wollen sich auf ein Land konzentrieren, vermutlich Sudan. Margareta fragt mich, ob ich den Mann gekannt habe, der für mich den Kontakt zu ihr hergestellt hat. Ja, ich hatte gestern mit ihm beim Mittagessen in der Schlange gestanden, wir haben einige Scherze gemacht, aber auch sehr Ernsthaftes besprochen. Er hat sich mit seinem Vornamen Karl vorgestellt. Margareta erklärt mir, dass es der (leider nicht mehr im Amt befindliche) Erzbischof der Kirche von Schweden ist. Das ist typisch für dieses Treffen: von Ausnahmen abgesehen (ich sehe da vor allem die Orthodoxen), spielen Hierarchien im unmittelbaren Kontakt überhaupt keine Rolle. Der Workshop, für den ich mich am Nachmittag entschieden habe, ist inhaltlich sehr gut, aber ein von einem Amerikaner so schnell und für mich unverständlich vorgetragenes Referat, dass ich nach 10 Minuten wieder gehe und froh bin, den Text als Fotokopie bekommen zu haben. Ich lese ihn draußen auf einer Bank, bis der "Hausfotograf" des Weltkirchenrats sich zu mir setzt und mir von seinen jahrzehntelangen Erfahrungen mit ökumenischen Weltversammlungen erzählt. Seine Fotos sind auf der Webseite http://gewaltueberwinden.org/de zu sehen.

23. Mai 2011

Sonntag, 22. Mai

Heute ist alles etwas entspannter. Eben Sonntag. Schön, schon beim Aufwachen zu wissen, dass vor einigen Stunden in Wethen ein Gottesdienst stattgefunden hat, in dem besonders an diese Konvokation hier gedacht wird. Ich hoffe, dass meine "Kurzbotschaft" auch rechtzeitig per E-Mail dort angekommen ist. Durch die verschiedenen Zeitzonen bedingt wird heute 24 Stunden lang für den Frieden gebetet. Nach dem Frühstück, heute mit einem leckeren gekochten Bananenporridge, gab es einen sehr langen Gottesdienst mit einer für uns Deutsche ungewohnt langen Predigt. Dazwischen mitreissende Musik von einer kirchlichen "Steelband". Besonders beim Einsammeln der Kollekte wird es richtig reggae-mäßig; einige weibliche "stewards" tanzen beim Weiterreichen der Körbe.
WCC president Rev. Dr Ofelia Ortega, Cuba and former bishop of Lübeck Bärbel Wattenberg-Potter dance to the sound of Bethel Steel Orchestra (Photo: Peter Williams)
Muss man sich mal in einem deutschen Gotttesdienst vorstellen. Eine ausdrückliche Würdigung der (wenigen) Kinder, die hier dabei sind – sie werden extra nach vorne auf die Bühne gebeten. Dann auch eine Würdigung der Frauen und schließlich der Männer. Viele Lieder, die hier in Jamaika oder in der Karibik-Region entstanden sind. Das Mittagessen noch reicher als sonst, mit Fleisch, verschiedenen Fischsorten, Gemüsen, Früchten und Kaffee. Weitere Köstlichkeiten gibt es auf dem Außengelände, wo etwa 20 Stände aufgebaut sind mit Kunsthandwerk, Literatur, CDs, Kaffee- und Obstsaftständen und allerlei mehr. Zwei weitere Musikgruppen spielen im Wechsel den ganzen Nachmittag, die Klänge wehen herüber auf das Wohnheimgelände, wo ich gerade schreibe. Heute Abend wird ein Musical aufgeführt, das mit Jugendlichen hier aus Kingston in den vergangenen Tagen erarbeitet wurde.

22. Mai 2011

Samstag, 21. Mai

Der Workshop, den ich gemeinsam mit Angela Stultz anbieten wollte, ist gestern nicht zu Stande gekommen, weil Angela zu der Zeit andere Verpflichtungen hat. Wir haben aber telefonisch für Dienstag verabredet. So habe ich den Workshop "Training for nonviolent conflict resolution" alleine geleitet. Acht Männer und drei Frauen mit sehr unterschiedlichen nationalen, kirchlichen und beruflichen Hintergründen waren gekommen und ließen sich, bis hin zum Bischof, erstaunlich bereitwillig ein auf die praktischen Übungen, die ich vor allem aus den Grundkursen von "Alternativen zu Gewalt" entnommen habe. Natürlich werden in 90 Minuten nicht alle Erwartungen erfüllt, die jede/r auf kleine Klebezettel geschrieben und an einem Baum angeklebt hat. Aber es hat viel Spaß gemacht, und das Bedauern war bei einigen groß, dass es nicht doch drei Workshops geben kann, in denen dieser Anfang vertieft werden kann. Ursprünglich hatten wir drei Workshops angemeldet, weil wir vorhatten, mit drei TrainerInnen hier her zu kommen. Weil das aus Finanzgründen nicht ging und ich auch Zeit haben wollte, an anderen Workshops teilzunehmen, fand nur einer statt.
Heute Morgen gab es schon vor dem Frühstück ein Morgengebet (sonst ist das danach). Das hatte seinen Grund. Tagesthema ist "Peace on the Marketplace", also "Friede in der Wirtschaft". Die jungen internationalen Freiwilligen ("stewards"), die an allen wichtigen Ecken für Fragen aller Art zur Verfügung stehen, verteilten während des Morgengebets Frühstückstüten. Aber nur an etwa jeden vierten Teilnehmer. Ein eindrückliches Bild für die Verteilung von Grundnahrungsmitteln in der Welt. Noch eindrucksvoller wäre es gewesen, wenn wir dann hinterher an unserem "restaurant" kein Frühstück bekommen hätten.
Die Gestaltung der Morgengebete ist sehr ansprechend; die Texte sind auch gut zu verwenden in der Arbeit nach dieser Konferenz.
Ein Teil "meiner" Bibelarbeitsgruppe
Auf das Morgengebet, das mehrsprachig im großen Zelt statt findet, folgt täglich eine Stunde Bibelarbeit in kleinen Gruppen, die über alle Tage der Konferenz gleich zusammengesetzt bleiben. Ich habe das Glück, in der von Konrad Raiser geleiteten Gruppe zu sein, der mit vielfältigen methodischen Zugängen und angereichert mit seiner reichen ökumenisch-theologischen Kenntnis unser Gespräch bereichert.
An die Bibelstudien schließen sich die thematischen Vormittagsveranstaltungen im Plenumszelt an. Ich finde sie sehr anstrengend. Viele Reden hintereinander, fast alle abgelesen, irgendwie ist das unbefriedigend. Dazwischen mal ein drastischer Film. Dann mal fünf Minuten, in denen man mit den womöglich unbekannten Nachbarn in der Sitzreihe kurz drei Fragen diskutieren kann. Das muss oberflächlich bleiben. Die sehr umfangreichen und nicht leicht zu lesenden Texte im Vorbereitungsmaterial sind "fertig". Irgendwie entsteht in mir der Durst nach Raum für Neues, Ungeplantes, Prophetisches, das im Gespräch und in der vertieften Arbeit während dieser Konvokation entstehen könnte. Der Beitrag von Paul Oestreicher, der produktive Kontroversen "erwarten" ließ, wurde bisher nicht weiter aufgegriffen. Schade, finde nicht nur ich, sondern auch andere, die ich beim Essen darauf anspreche. Wie bei anderen großen Konferenzen sind möglicherweise das Wichtigste nicht die offiziellen Veranstaltungen, sondern die persönlichen Begegnungen, die nicht auf dem Programm stehen. Innerhalb der "eigenen", deutschen Delegation (die mit mehr als 100 Personen hier sehr stark ist, so dass die Dominanz fast schon ein bisschen unheimlich scheint), aber auch immer wieder mit den Teilnehmenden aus aller Welt (nach meinem Eindruck sind dies vor allem Theologinnen und Theologen). Ein italienischer Jounalist mit viel ökumenischer Konferenzerfahrung benennt es so: es ist gar keine Konferenz, bei der gemeinsam etwas erarbeitet wird, sondern eben eine Konvokation, wo die Zusammengerufenen die Ergebnisse präsentiert bekommen. Selbst die Kommentare zu den Arbeitspapieren nehmen oft nur streifend darauf Bezug, geraten eher zur Selbstdarstellung der eigenen Erfahrungen und Anstrengungen. Ich spüre aber auch, wie negativ diese Krittel-Haltung werden kann und versuche, "das Positive" nicht zu übersehen. Das sind, um es noch einmal zu sagen, die Gebets- und Bibelstudienzeiten und die informellen Gespräche. Bei den Selbstdarstellungen fand ich sympathisch den Beitrag eines Rastafari, der viel über seine "Religion" erzählte und schließlich im erbetenen Kommentar zum "Call for a Just Peace" mehr Zuhören der Christen als das Verkünden von Gewissheiten vorschlug.

weitere Berichte, Fotos, etc

http://gewaltueberwinden.org/de auf der offiziellen Webseite
http://vision-gerechter-friede.de/ auf einem Blog der Delegation der Hannoverschen Landeskirche

Dienstag, 17. Mai. Anreise.

Der Tag wird lang und länger. Durch die Zeitverschiebung hat er am Ende 31 Stunden. In Miami (Florida) ein längerer Aufenthalt. Am meisten beeindruckt hat mich eine Fotoausstellung in der Wartehalle des Flughafens dieser interkulturellen Stadt. 100 hervorragende Fotoportraits von Einwohnern Miamis mit lateinamerikanischem Hintergrund, jeweils mit Namen und einem Satz, in dem sie ihre Lebensüberzeugungen, Werte oder Gefühle beschreiben, die sie als "Hispaniolas" in dieser Stadt zu leben versuchen.
Der Anflug auf die Insel Jamaika zeigt wunderschöne Lichtbilder von Ortschaften und kleinen Inseln oder Halbinseln. Der Empfang durch die Grenzbeamten ist sehr freundlich.
Der Transport zum Universitätscampus zieht sich zeitlich hin. Auch dort ist die Organisation der Zimmerverteilung eine Geduldsprobe. Das setzt sich in den kommenden Tagen fort. Alles geht etwas langsamer als es könnte. Die Warteschlangen, vor allem bei den Mahlzeiten, machen aber den Kontakt zu den vielen noch Unbekannten Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr leicht. Man "leidet" gemeinsam und kommt ins Gespräch. Ich nehme schon wahr, dass es einen Kreis von erfahrenen Konferenzteilnehmern gibt, die sich um den Arm fallen und erinnern, bei welcher ökumenischen Konferenz sie sich schon mal begegnet sind, aber auch TeilnehmerInnen, die wie ich zum allerersten Mal auf so einer weltumfassenden Begegnung sind. Eindrucksvoll, wie unterschiedlich sie in ihrer Art sind, ihre Kirche, ihren Glauben, ihr Engagement darzustellen.

Teil des Rex Nettleford-Wohnheims
Mittwoch, 18. Mai. Gut geschlafen im Studentenwohnheim "Rex Nettleford", benannt nach einem Vizerektor der Universität, der sehr beliebt war und nach dessen Tod dieses "Viertel" mit dreistöckigen Wohnheimhäusern seinen Namen bekam. Der Zeitplan ist knapp, um 7 Uhr Frühstück, um 8.15 soll schon die Orientierungsveranstaltung sein für die Besuche bei lokalen Einrichtungen in Kingston, die einen ersten Eindruck von der Lebenswirklichkeit in diesem Land vermitteln sollen. Vorher muss ich mich noch registrieren an einem Ort, der nicht leicht zu finden ist auf dem großen Universitätscampus, bekomme dort Essenmarken, Unterlagen, eine Tasche und vielleicht am wichtigsten, eine Wasserflasche, die zur ständigen Begleiterin wird und immer wieder aufgefüllt werden muss. Die Schlange beim Frühstück zeigt bald, dass es völlig unrealistisch ist, das Morgenprogramm zu schaffen. Also bleibt als erstes Eintauchen das in das Leben auf dem Universitätscampus, das Wahrnehmen dessen, was anders oder gleich ist wie anderswo. Was schon gestern abend auffiel, war der Eindruck des starken Sicherheitsapparates. Das Campus-Gelände ist eingezäunt mit hohen Drahtzäunen, darüber Stacheldraht wie bei einem Gefangenenlager. Die Zahl der Wachleute ist an manchen Stellen höher als die der Studierenden (allerdings sind gerade Ferien nach Zwischenexamina, und daher nur wenige Studierende auf dem Campus. Das ermöglicht auch die Nutzung der Wohnheime für die Konferenzteilnehmer). Es gibt eine eigene Campus-Polizei mit eigenen Polizeiautos. Ein Haufen Männer läuft herum mit Handschellen am Gürtel, merkwürdig für eine Universität. Ich versuche als erstes, mich räumlich zu orientieren. Der Lageplan, den wir alle bekommen haben, ist nur zur ganz groben Orientierung hilfreich. Also viel fragen und um Hilfe bitten. Manchmal wird man von Pontius zu Pilatus geschickt, aber immer freundlich und bemüht. Auch die Frauen an den Verkaufsständen für Süßigkeiten, die überall zu finden sind, helfen mit Tips. Am dringendsten möchte ich wissen, wie der Raum zu finden ist, in dem "mein" Workshop stattfinden soll. Als ich ihn gefunden habe, ist er leider verschlossen, aber durch die Fenster hindurch sehe ich, dass es kein Hörsaal mit festen Stuhlreihen ist, sondern ein Seminarraum mit beweglichen Stühlen – das brauche ich.
In der "Assembly hall", der Aula der Universität, finden die Anmeldeprozeduren statt, und dort treffe ich auch Michael Held, der mit einem befreundeten Paar aus Bad Hersfeld zusammen angereist ist. Er hat einen Stand dort aufgebaut. Die Lage dieses Standes ist optimal, weil alle Teilnehmer hierher zur Registrierung kommen und in der Regel eine Zeit warten müssen. Geiko Müller-Fahrenholz und Fernando Enns kommen gerade an den Stand und mit Michael ins Gespräch.

19. Mai 2011

Michael Held und ich sind gut gelandet in Jamaika. Es ist heiß. Alles braucht Zeit ("soon come"), so auch das Herausfinden der Orte, der technischen Möglichkeiten - mal abwarten, wann dieses erste Mail die LeserInnen in Deutschland erreicht. Gestern, 18.5., gab es zur Eröffnung einen sehr guten Beitrag von Paul Oestreicher "Eine neue Welt ist möglich". Die deutschsprachige Fassung steht im Internet, siehe nächster Abschnitt. Heute, 19.5., eine Bibelarbeit mit Konrad Raiser zu einer Geschichte sexuellen Missbrauchs. Aufrüttelnd. Das angehängte Foto zeigt Michael Held an "seinem" Stand in der "Assembly Hall", mit Geiko Müller-Fahrenholz, Fernando Enns (von hinten), Wolfgang und Monica Thon aus Bad Hersfeld - ein Dank an unsere Landeskirche, die uns die Teilnahme hier ermöglicht.
Gruß, Rainer